Was meinen wir mit „Evidenz“? Einordnung für den Rettungsdienst

Was meinen wir mit „Evidenz“? Einordnung für den Rettungsdienst

Im Rettungsdienst spricht man heute bewusst von evidenzbasierter Praxis (EBP) und nicht von evidenzbasierter Medizin. Das hat einen einfachen Grund: Entscheidungen im Einsatz umfassen mehr als medizinische Maßnahmen, sie berühren Organisation, Sicherheit, Kommunikation und Navigation in komplexen Lagen. EBP ist der weitere Rahmen und meint die informierte Verknüpfung von (a) externer Evidenz aus Forschung, (b) interner Evidenz aus Expertise und lokalen Daten und (c) den Präferenzen/Werten der betroffenen Person. Diese Trias ist seit den frühen Formulierungen des EBM-Kerns gut dokumentiert und gerade der Hinweis auf klinische Expertise und Patient:innenwerte verhindert, dass…

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Der inflationäre Gebrauch von Online-Umfragen in der rettungswissenschaftlichen Forschung

Der inflationäre Gebrauch von Online-Umfragen in der rettungswissenschaftlichen Forschung

In den letzten Jahren haben Online-Umfragen in der rettungswissenschaftlichen Forschung, wie auch in vielen anderen Bereichen, stark an Frequenz zugenommen. Die einfache Verfügbarkeit von Befragungsplattformen und sozialen Medien lässt die Anzahl an Umfragepublikationen schnell steigen. Paramedicine-Experten wie Simpson (2025) warnen jedoch davor, dass die Qualität dieser Forschung oft zu wünschen übriglässt. So stellt Simpson in einem aktuellen Editorial fest, dass viele Umfragen im Rettungsdienst häufig durch kleine oder nicht repräsentative Stichproben gekennzeichnet sind und betont, dass die Gestaltung einer Umfrage „ebenso herausfordernd wie…

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„Bagatelleinsätze“ als Motor der Professionalisierung des Notfallsanitäterberufs

„Bagatelleinsätze“ als Motor der Professionalisierung des Notfallsanitäterberufs

Der Begriff „Bagatelleinsatz“ ist im deutschen Rettungsdienst allgegenwärtig, zugleich jedoch unscharf und normativ aufgeladen. Gemeint sind Einsätze, die nach gängiger Einschätzung der Leitstellen oder der Einsatzkräfte keine vital bedrohlichen Notfälle darstellen, sondern in eine Kategorie „niedriger Dringlichkeit“ fallen. Dazu gehören etwa Stürze ohne Verletzungsfolgen, akute, aber selbstlimitierende Beschwerden, chronische Symptomverschlechterungen oder auch soziale Probleme, die nicht primär medizinischer Natur sind. Die Bezeichnung „Bagatelle“ suggeriert eine Trivialität, die sich bei genauer Betrachtung nicht immer bestätigt. In vielen Fällen bestehen erhebliche Versorgungsbedarfe,…

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Frequent User im Rettungsdienst: Zwischen Frustration und Verantwortung

Frequent User im Rettungsdienst: Zwischen Frustration und Verantwortung

Jede:r im Rettungsdienst kennt es: Man schaut auf den Einsatzauftrag, erkennt die Adresse oder den Namen und denkt sofort „Schon wieder der:die!“. Immer wieder werden Rettungsteams zu denselben Patient:innen geschickt, oft mit scheinbar geringfügigen Beschwerden. Das Gefühl von Déjà-vu stellt sich ein und mit ihm Frust und Ungeduld. Insgeheim mag man die Augen rollen – schon wieder ein Anruf ohne echte medizinische Relevanz, während woanders vielleicht ein echter Notfall wartet. Solche wiederholten Einsätze zu denselben Personen sind kein Einzelfall, sondern ein verbreitetes Phänomen im Rettungsdienst….

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Warum Theorie auch für den Rettungsdienst relevant ist

Warum Theorie auch für den Rettungsdienst relevant ist

Sascha Bechmann [1] betont im Rahmen der Ringvorlesung Rettungswissenschaften, dass die zunehmende Komplexität rettungsdienstlicher Einsätze und die Professionalisierung des Berufsstands eine eigenständige wissenschaftliche Fundierung erfordern. Die Rettungswissenschaft(en) sollen helfen, evidenzbasierte Handlungsempfehlungen zu entwickeln und die Versorgungsqualität systematisch zu verbessern. Theorie und Forschung gewinnen also an Bedeutung, um die vielfältigen Praxis-Herausforderungen zu bewältigen. Doch was versteht man überhaupt unter „Theorie“, und welche Funktion erfüllt sie im Rettungsdienst? Was sind eigentlich Theorien? Wissenschaftlich gesehen ist eine Theorie ein System von Aussagen, das Phänomene beschreibt,…

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Schmerz ist nicht gleich Schmerz: Warum der Rettungsdienst kulturell sensibler werden muss

Schmerz ist nicht gleich Schmerz: Warum der Rettungsdienst kulturell sensibler werden muss

Schmerz als soziokulturelles Phänomen Schmerz ist kein rein physiologisches Signal, sondern ein subjektives Erleben, das durch biologische, psychologische und soziale Faktoren beeinflusst wird. Die International Association for the Study of Pain (IASP) definiert Schmerz als „ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit tatsächlichem oder potentiellem Gewebeschaden verknüpft ist oder mit Begriffen eines solchen Schadens beschrieben wird“.[1] Diese Definition unterstreicht den subjektiven Charakter des Schmerzes und macht deutlich, dass Schmerz weit über das hinausgeht, was objektiv messbar ist. Das soziale Kommunikationsmodell des…

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Zwischen Trauma-Fokus und Bildungsauftrag: Was die Zukunft der Rettungsdienstausbildung lehrt

Zwischen Trauma-Fokus und Bildungsauftrag: Was die Zukunft der Rettungsdienstausbildung lehrt

Die Anforderungen an Rettungsfachpersonal verändern sich: Weg von der reinen Notfallmedizin, hin zu komplexeren Einsätzen mit psychosozialen, strukturellen und kommunikativen Herausforderungen. Wie aber bereitet die Ausbildung darauf vor? Der Artikel „The future of paramedic education: Problematizing the translucent curriculum in paramedicine“ von Corman, Phillips und McCann [2] wirft genau diese Frage auf – und kommt zu einem kritischen Fazit: Die Ausbildung ist vielerorts noch zu einseitig, zu technikzentriert und zu wenig reflektiert. Für die deutschen Rettungswissenschaften enthält der Beitrag wichtige Denkanstöße. Corman…

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Forschung im Rettungsdienst: Neutral analysieren oder auch Werturteile vertreten?

Forschung im Rettungsdienst: Neutral analysieren oder auch Werturteile vertreten?

In der rettungswissenschaftlichen und notfallmedizinischen Forschung stellt sich immer wieder die Frage, wie sehr Wissenschaft „neutral“ bleiben muss. Der historische Werturteilsstreit – ein Methodenstreit darüber, ob Wissenschaftler normative, verbindliche „Soll“-Aussagen machen dürfen oder strikt bei objektiven Analysen des „Seins“ bleiben – ist auch heute noch relevant [1]. Bereits vor über 100 Jahren betonte Max Weber, Wissenschaft solle frei von persönlichen Wertungen sein. Er lehnte es ab, dass Forschende vom „Katheder“ aus moralische Urteile verkünden, und forderte eine strikte Trennung zwischen Wertungen…

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